Fivrr.com – Versuch einer Annäherung

Fünf Euro 300

Bei einem Webinar über Zeitmanagement, u.a. für Selbstständige, tauchte neulich recht bald ein Zauberwort auf: Delegieren. Und zwar möglichst viele der Tätigkeiten, die andere schneller und/oder besser können. Dabei wurde auch ein Portal erwähnt, das vor allem bei Kreativen nicht ganz unbekannt ist: Fivrr.com.

Ich schreibe bewusst „erwähnt“, denn ich kann mich nicht an eine tatsächliche „Empfehlung“ erinnern. Ob eine erfolgreiche Dozentin & Freiberuflerin, die ihren Wohn- und Firmensitz in Deutschland hat und Interesse, selbst Stundensätze zu erzielen, bei denen man am Jahresende von einem Einkommen sprechen kann, guten Gewissens ein Portal empfiehlt, auf dem man sich schnell über ein paar Kontinente hinweg ein Logo im einstelligen Euro-Bereich erstellen lassen kann? Bestimmt nicht. Oder drückt man da eben mal ein Auge zu, wenn es nur um „Kleinigkeiten“ geht?

Überhaupt frage ich mich sehr viel in diesem Zusammenhang: Was erwartet man grundsätzlich, wenn man auf diesem Portal einen 5-Dollar-Job erteilt?

Ich frage aber nicht nur mich selbst immer viel, sondern auch gerne potenzielle Kunden: Was ist sein Business? Was braucht er? Was erwartet er? Wie tickt er? Welchen Mehrwert kann ich für ihn schaffen? Und unterschwellig erhoffe ich wohl auch, dass ein Dienstleister mit mir ähnlich verfährt. Einen echten Mehrwert schafft. Und wenn er oder sie sehr sympathisch ist und vielleicht noch an einem Folgeauftrag interessiert, oder weil ich meist so ein netter Mensch bin, liefert er oder sie vielleicht sogar noch eine winzige Alternativlösung. Einschließlich dem berüchtigten „Blick von außen“, der unbezahlbar ist. Weil er oft Einsichten bringt, auf die man selbst nie gekommen wäre.

Man ahnt: Allein schon ein zielführendes Vorgespräch dauert länger als fünf Minuten und ist wohl kaum zu erwarten von einem der sympathischen Menschen, die einem auf Fivrr.com aus Indien, Pakistan, England oder woher auch immer freudig entgegenlächeln.

Ja, ich habe verstanden: Andere Zielgruppe. Andere Baustelle. Völlig anderes Thema. Also eigentlich geschenkt.

Sehr interessant finde ich aber, dass scheinbar „kleine Firmen und Freiberufler“ es ganz praktisch finden, für kleines Budget eigentlich hochwertige Dienstleistungen in Anspruch nehmen zu können, so liest man oft im Netz. Nun ja, es liegt auf der Hand: Jeder hat in seinem beruflichen Umfeld ein paar Tätigkeiten, die man theoretisch gerne auslagern würde und könnte, und an deren Perfektion der Firmenerfolg nicht unmittelbar gekoppelt ist. Ob sich die Mühe lohnt, dafür  Fivrr.com zu durchwühlen und ein paar helfende Hände quer über den Erdball zu kontaktieren, muss jeder für sich entscheiden.

Bleibt aber immer noch die Frage: Was erwartet man z.B. von einem Schüler aus Deutschland, der sich hier mit seinem Angebot etwas für den Führerschein dazu verdient? Sollen angeblich dort vertreten sein. Wenn er den Führerschein hierzulande machen möchte, muss er wohl sehr fleißig ein paar Banner oder Präsentationen  zusammenklicken, denn Fahrstunden sind ganz schön teuer heutzutage und keineswegs als Gigs zu erwerben, und ein Teil geht ja noch als Provision an Fivrr.com ab. Und wenn man wirklich (fast) nichts erwartet, was sich anschließend zu kommentieren lohnt, könnte man doch Augen, Nerven und Fingerkuppen schonen und den Fünfer in einen wirklich guten Kaffee investieren, sich im Kollegenkreis umhören und in aller Ruhe einen passenden Dienstleister suchen, der von seinem Business leben kann und will.

Digitale Minijobs und Taschengelder hin oder her. Viel beängstigender finde ich die Tatsache, dass in Deutschland ansässige Firmen auf zahlreichen anderen Portalen komplexe, mehrwöchige Projekte für weit unter 1.000 € anbieten. Projekte, bei denen allein die Projektbeschreibung schon die Haare zu Berge stehen lässt – inhaltlich und im Tonfall. Für Honorare, die man nach Kosten und Steuern bestenfalls als „symbolisches Dankeschön“ für die Referenzmappe bezeichnen kann.

Papperlapapp. Vielleicht sollte ich einfach mal meine Vorurteile über Bord werfen und es auf einen Versuch ankommen lassen. Bei Fivrr oder anderswo. Wenn die Grafikerin meines Vertrauens mal keine Zeit hat, könnte ich endlich meinen Flyer in Auftrag geben. Konkrete Vorstellungen habe ich bereits. Oder einen 800 Wörter seo-optimierten Blogpost zu einem beliebigen Thema bestellen, z.B. „Das Liebesleben der Wüstenrennmaus“ oder „Schnelle, einfache und kostengünstige Mittel zur Hornhautreduktion“ – ein topaktuelles Problem vor Sommerbeginn, quer durch alle Altersgruppen – entnehme ich zumindest den Spots im Vorabendprogramm. Es würde auch gut passen zum Thema Zeit sparen. Und ich wäre möglicherweise total entsetzt angesichts der guten Qualität und würde abschließen mit der Erkenntnis, dass ich einfach zu langsam und zu teuer bin für diese Welt. Denn ich brauche im Schnitt eine Stunde, um das ins Netz zu bringen, was ich als lesbaren Inhalt bezeichnen würde. Und „kürzer“ ist bei Content selten gleichbedeutend mit „einfacher“ oder „schneller“.

Fazit: 

Machste was, brauchste Zeit.
Lässte machen, brauchste Nerven.
Machste nix, kriegste nix.
Haste gelesen, darfste kommentieren.

 

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